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112 Newsletter vom 21. Mai 2020

Liebe Leserinnen und Leser,

wie jeden Tag darf ich auch heute diesen Newsletter mit einem kurzen statistischen Überblick zur Corona-Lage in Bayern einleiten. Stand heute, Donnerstag (Christi Himmelfahrt), 10:00 Uhr, haben wir 46.268 bestätigte Corona-Infektionen zu verzeichnen. Das sind im Vergleich zum Vortag + 184 mehr (vorgestern auf gestern + 118) oder + 0,4 Prozent. Bezogen auf 100.000 Einwohner waren oder sind in Bayern statistisch bisher 353 Menschen bestätigt mit COVID-19 infiziert.

Wieder genesen sind amtlich ausgewiesen 41.060 Personen oder 310 mehr als gestern (+ 0,8 Prozent). Aktuell leiden in Bayern 2.980 Personen an COVID-19, das sind ca. 150 weniger als gestern (- 4,8 Prozent). Bezogen auf 100.000 Einwohner sind aktuell noch 23 Bewohner Bayerns erkrankt (gestern 24).

An bzw. mit einer Corona-Infektion verstorben sind mittlerweile 2.370 Personen, das sind im Vergleich zum Vortag + 17 (vorgestern auf gestern + 22) oder insgesamt + 0,7 Prozent mehr.

Die über sieben Tage statistisch geglättete Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele weitere Personen ein Infizierter statistisch ansteckt, ehe er selbst gesundet oder verstirbt, bemisst sich entsprechend der mathematischen Betrachtungen des Robert Koch-Instituts (RKI) heute für Bayern auf R=0,82 (gestern R=0,87). Der isolierte Tageswert für heute wurde mit R=0,79 (gestern R=0,94) festgestellt. Wir bleiben damit seit Tagen konstant unterhalb der magischen Marke von R=1 und in der Tendenz sinken beide R-Werte sogar leicht ab. Dies ist sehr erfreulich, da ein Wert kleiner 1 anzeigt, dass momentan mehr Menschen genesen oder an Corona sterben, als sich neu infizieren.  Die Welle flacht sich also moderat, aber konstant weiter ab.

Deshalb gilt auch heute: In der Zusammenschau aller maßgeblichen Parameter stellen sich das landesweite Infektionsgeschehen sowie die Corona-bedingte Sterblichkeit weiterhin ausgesprochen positiv dar.

Die zusammenfassende Betrachtung der Werte und Zahlen für ganz Bayern ist das eine, der Blick in die Regionen das andere. Diese ist für die Bewertung der Lage gleichermaßen relevant, denn erfahrungsgemäß beginnt jede noch so große pandemische Welle – ähnlich einem Großbrand – zunächst im Kleinen. Deshalb möchte ich Ihnen auch heute die 7-Tage-Inzidenzraten für die am stärksten betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte Bayerns nennen.

Die drei Erstplatzierten sind dieselben wie die letzten vier Tage, haben aber – bei minimalen Abständen – die Plätze getauscht. Die Liste wird aktuell angeführt vom gestern drittplatzierten Landkreis Straubing-Bogen, für den heute 47,69 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen 7 Tagen ausgewiesen werden (gestern 45,7). Der Landkreis Coburg, gestern mit 61,0 an der Spitze, steht heute mit 47,18 zu Buche und die Stadt Straubing kommt auf einen 7-Tage-Inzidenzwert von 43,94 (gestern 54,4). Damit liegt heute kein bayerischer Stadt- oder Landkreis jenseits der kritischen Grenze von 50, die den auf Bundesebene vereinbarten Notfallmechanismus auslöst. Alle anderen Stadt- und Landkreise in Bayern liegen weit unterhalb der von der Staatsregierung definierten Vorwarnstufe von 35.

Mit Blick auf diese Zahlen hatte ich gestern einer differenzierten, lageorientierten Betrachtung das Wort geredet und vor einer rein schematischen Herangehensweise gewarnt. Denn es verhält sich in derlei komplexen Zusammenhängen eben nicht wie mit der sprichwörtlichen Petersilie, die bekanntlich auf alle Suppen passt, sondern man muss, wie ein sehr guter Arzt, eine umfassende und gründliche Anamnese vornehmen, eine genaue Diagnose stellen und dann die richtige Therapie einleiten. Oder, wie es bei der Polizei und den Sicherheitsbehörden heißen würde, auf eine alle wesentlichen Lagefelder umfassende Beurteilung der Lage folgt der Entschluss, was zu tun ist und sodann werden die erforderlichen Maßnahmen ergriffen. Der Arzt wie der Polizeiführer werden nach einer gewissen Zeit prüfen, ob die Therapie anschlägt bzw. die Maßnahmen greifen, oder ob ggf. nachjustiert werden muss.

Zu einer solchermaßen sachgerechten Vorgehensweise gehört auch die Analyse des Instruments der 7-Tage-Inzidenz in Bezug auf die Größe von Stadt-/Landkreisen in Bayern und dem Rest der Republik. Dies umso mehr, als sich derzeit Hotspots nicht gleichmäßig verteilen, sondern vor allem auf bestimmte Branchen oder Örtlichkeiten konzentrieren. Es sind dies Schlachtbetriebe sowie Alten- und Pflegeheime.

Zunächst ist festzustellen, dass bayerische Landkreise im Vergleich zu denen anderer Bundesländer tendenziell geringere Bevölkerungszahlen aufweisen. Der Landkreis Rosenheim mit seinen ca. 260.000 Einwohnern ist der nach der Bevölkerungszahl zweitgrößte Landkreis Bayerns, im bundesweiten Vergleich aber sticht er keineswegs heraus. Hier sind Landkreise mit einer halben Million Einwohnern keine Seltenheit.

Diese bevölkerungsstatistische Ungleichheit der Gebietskörperschaften spiegelt sich jedoch nicht in gleicher Weise in den Dimensionen von dort angesiedelten Alten- und Pflegeheimen oder Schlachtbetrieben. So hat ein größer dimensioniertes Pflegeheim regelmäßig ca. 200 Bewohner und ein größerer Schlachtbetrieb etwa 1.000 Mitarbeiter – und zwar unabhängig von der Bevölkerungszahl des Standortlandkreises. Treten nun hotspotartige Geschehen etwa in Schlachtbetrieben auf und sind diese vergleichbar dimensioniert und organisiert, lässt dies jeweils vergleichbar hohe Infiziertenzahlen erwarten. Werden aber diese Zahlen, z.B. die Zahl 40 binnen sieben Tagen, nun auf einen Landkreis wie etwa Straubing-Bogen mit ca. 100.000 Einwohnern statistisch auf 100.000 Einwohner umgerechnet, ergibt dies eine 7-Tage-Inzidenz von 40. Somit entsteht aus dem Geschehen in einem Betrieb rechnerisch ein wesentlich stärkerer Hebel, als dies bei einem Landkreis wie, sagen wir, Coesfeld mit ca. 220.000 Einwohnern oder dem Rhein-Sieg-Kreis mit über einer halben Million Einwohnern der Fall ist. Für diese würde sich eine 7-Tage-Inzidenz von 18,2 bzw. 8 errechnen. Im Kreis Coesfeld müsste es dann einen weiteren und im Rhein-Sieg-Kreis vier weitere vergleichbar große Schlachtbetriebe mit vergleichbarem Infektionsgeschehen im selben Zeitraum geben, um allein aus diesen heraus auf eine ähnliche 7-Tage-Inzidenz zu kommen, wie in Straubing-Bogen.

Diese Betrachtung soll keineswegs die Situation in Bayern relativieren, denn das Virus schaut nicht auf Zahlen, sondern nutzt jede Gelegenheit zur Verbreitung. Deshalb ist ein vergleichbar großer Hotspot auch im Grundsatz immer gleich gefährlich. Was ich aber sagen will ist, dass derlei Schwellenwerte immer nur Hilfsmittel sein können, um bestimmte Entwicklungen anzuzeigen, aber nie die gründliche Analyse und das intensive Nachdenken ersetzen können.  Eine Kreisverwaltungsbehörde würde sich sträflich leichtsinnig in falscher Sicherheit wiegen, nähme sie einen Hotspot mit z.B. 40 Infizierten nur deshalb nicht ernst, weil damit der Schwellenwert von 50 noch nicht übersprungen wird. Umgekehrt ist dieses Ergebnis auch für einen kleinen Landkreis solange kein zu dramatisierendes Problem, wie gegen das Infektionsgeschehen sofort mit größtem Nachdruck vorgegangen wird.    

Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Newsletter vom 30. März 2020, in dem ich berichtet hatte, dass angesichts völlig überlasteter Kliniken und Intensivstationen insgesamt zehn schwer kranke COVID-19-Patienten aus Italien nach Bayern geholt wurden, um hier intensivmedizinisch behandelt zu werden. Die Patientinnen und Patienten waren u.a. unter Begleitung von Notfallsanitätern des Malteser Hilfsdienstes von Bergamo nach Nürnberg geflogen und vom Albrecht-Dürer-Airport aus mit Notarztwägen in die nordbayerischen Universitätsklinika Erlangen (4) und Würzburg (3) sowie die ostbayerische Uniklinik Regensburg (3) eingeliefert worden. Der Zustand der zehn Patienten war so schlecht, dass sie bereits während des Lufttransportes durchgehend künstlich beatmet werden mussten. Sie waren zur Behandlung in die Ferne gebracht worden, weil sie angesichts der prekären Lage in der Heimat dort kaum eine Überlebenschance gehabt hätten.

Neulich ist mir in den Sinn gekommen, was wohl aus den zehn italienischen Staatsbürgern geworden sein mag und so habe ich nachfragen lassen.

Gestern habe ich dann eine außerordentlich erfreuliche Mitteilung erhalten. Demnach sind fünf Patienten mittlerweile genesen und nach Norditalien zurückgekehrt. Zwei von ihnen erhalten in einer dortigen Klinik noch Reha, die anderen sind nach Hause entlassen.

Drei weitere Patienten sind noch in den jeweiligen bayerischen Kliniken und sind aber mittlerweile wieder soweit hergestellt, dass sie spätestens nächste Woche nach Italien verlegt werden können.

Lediglich in zwei besonders schweren Fällen waren alle ärztliche Kunst und pflegerische Mühen vergebens. Die Patienten, die neben Corona auch an schweren chronischen Vorerkrankungen litten, sind verstorben. Aber auch um das Leben dieser Menschen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der behandelnden Uniklinik unermüdlich gekämpft. In dem einen Fall 21 Tage, in dem anderen 33 Tage, ehe der Tod als Erlöser kam.

Acht von zehn Menschenleben konnten also gerettet werden, eine grandiose Leistung, für die ich den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und den Intensivpflegekräften von Herzen danke.

Acht von zehn, vier Fünftel, so nüchtern klingt die Bilanz in Zahlen. Dass es aber in Wahrheit um menschliche Schicksale geht, die niemanden kalt lassen, weder die Betroffenen, noch deren Angehörige und auch nicht die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, zeigen ein paar kurze Zitate aus einem Dankschreiben, das ein italienischer Klinikarzt an einen seiner bayerischen Kollegen gerichtet hat.

„Porta ai nostri colleghi tedeschi i piu’ profondi e sinceri ringraziamenti. Ed i nostri complimenti alla luce anche dei risultati clinici. (Übermitteln Sie bitte unseren deutschen Kollegen unseren tiefsten und ehrlichsten Dank. Und auch unsere Glückwünsche angesichts der klinischen Ergebnisse.) (…)

Abbiamo vissuto momenti drammatici, il loro aiuto e’ stata la classica mano tesa quando tutto sembrava senza speranza. (Wir haben dramatische Momente durchlebt; Ihre Hilfe war die klassische ausgestreckte helfende Hand, als alles ganz hoffnungslos erschien.) (…)

Questa esperienza ci ha dato la consapevolezza che la solidarieta’ e’ un valore irrinunciabile, naturale tra colleghi, ma forse ancora piu’ importante tra uomini e paesi diversi. Non vi dimenticheremo.“ (Diese Erfahrung hat uns gelehrt, dass Solidarität ein unverzichtbarer Wert ist, selbstverständlich unter Kollegen, aber vielleicht noch wichtiger zwischen Menschen unterschiedlicher Länder. Wir werden Euch nicht vergessen.)

Dem habe ich nichts hinzuzufügen – oder vielleicht doch. Derlei Rückmeldungen gleichen das „Fremdschämen“ mehr als aus, das sogenannte besorgte Bürger mit Briefen an mich und viele andere Verantwortliche ausgelöst haben. Wie man denn dazu käme, Ausländer nach Deutschland zu holen, um sie hier auf Kosten des deutschen Steuerzahlers zu behandeln. Ausländische Patienten, die womöglich deutschen Patienten den notwendigen Beatmungsplatz wegnehmen würden….

Wie egoistisch und grausam können manche Menschen sein, wie dumm sind Nationalisten, die so reden? 

Immer menschlich bleiben!

Mit besten Grüßen Ihr Joachim Herrmann, MdL Staatsminister